Gebäude
Der Hochbunker und seine Geschichte
Wie lässt sich ein hermetisches Gebäude wie ein Luftschutzbunker in einen offenen Ort der Begegnung verwandeln? Wie wird aus einem beklemmenden Denkmal ein lebendiger Kunstraum? Wie funktioniert man einen sperrigen Betonklotz in ein einzigartiges Wohn- und Bürogebäude um, das der Stadt etwas zurückgibt? Ein Blick in die Bau- und Nutzungsgeschichte des Hochbunkers an der Ungererstraße 158 in München spiegelt deutsche Vergangenheit ebenso wie verantwortungsbewussten Denkmalschutz.
1940 bis 1945
Als Reaktion auf die ersten Luftangriffe auf Berlin erlässt Adolf Hitler am 10. Oktober 1940 das sogenannte „Führer-Sofortprogramm“. Damit ordnet er Planung und Bau von Luftschutzbunkern in über sechzig Städten des Deutschen Reiches an, die als besonders gefährdet gelten. Dazu gehört selbstverständlich München – sowohl symbolisch als Sitz der NSDAP-Parteizentrale als auch strategisch durch die hier ansässige, kriegsrelevante Industrie wie BMW, Dornier oder Krauss Maffei. Bis Kriegsende lässt das Stadtbauamt München zum Schutz der Zivilbevölkerung rund vierzig Hochbunker errichten, einen davon in der Ungererstraße. Im Vergleich zu unterirdischen Schutzanlagen sind diese Hochbunker kostengünstiger, ihre Bauzeit ist kürzer, ihr Sicherheitsgrad gilt als hoch.
Der Bunker in der Ungererstraße wird 1943 fertiggestellt und zeigt, dass bei der Planung architektonische Gestaltung und städtebauliche Aussage berücksichtigt wurden. Denn neben ihrer praktischen Funktion spielen die zu dieser Zeit errichteten Luftschutztürme eine bedeutende Rolle in der nach Innen gerichteten Propaganda: Zum einen suggerieren sie den Bürgern persönliche Sicherheit, zum anderen soll sich in ihnen die Wehrhaftigkeit NS-Deutschlands gegen feindliche Angriffe manifestieren. Die Renaissance-Elemente der Fassade, wie die umlaufende Sockelbank und die Bossenquaderung der Ecken, gehören zur ästhetischen Konzeption der Umgestaltung Münchens als „Hauptstadt der Bewegung“.
Mit zwei Meter dicken Außenwänden und einer ebenso starken Flachdachkonstruktion bietet der siebengeschossige Massivbetonbau zunächst 657, später 702 Personen Schutz. Im Norden der Stadt sind Kasernen, das Ausbesserungswerk der Deutschen Reichsbahn sowie wichtige, technische Industrieanlagen angesiedelt, etwa die Süddeutsche Bremsen AG, die Bayerischen Leichtmetallwerke oder BMW. Im Falle eines plötzlichen Luftangriffs sollen die Beschäftigten dieser Betriebe auf ihrem Arbeitsweg in den Bunker fliehen können. Außerdem bringt die wenig bebaute Umgebung rund um den Nordfriedhof die Möglichkeit mit sich, das hohe Gebäude als Flakturm zu verwenden, wovon eine Einbringungsöffnung für Munition an der Westfassade zeugt.
1945 bis 2010
Zwar weist die Gebäudefassade noch heute Einschusslöcher auf, doch inmitten der gewaltigen Kriegsschäden, die die Luftangriffe auf München verursachen, bleibt der Hochbunker weitgehend unversehrt. Unmittelbar nach Kriegsende richtet die US-Armee im Mai 1945 rund um den Bunker ein Barackenlager ein. In den kommenden Jahren dient das Gelände als Internierungs- und Arbeitslager für Nationalsozialisten, untergebracht sind hier auch prominente Vertreter wie der ehemalige Oberbürgermeister Münchens Karl Fiehler oder Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann. Nach 1948 wird das Lager noch einige Zeit von Flüchtlingen bewohnt.
Um weiterhin seine Schutzfunktion für die Bevölkerung aufrechtzuhalten, rüstet man in den Jahren 1984/85 das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg in einen vollständig abgedichteten ABC-Bunker um, zum Schutz vor atomaren, biologischen oder chemischen Bedrohungen. Doch schon wenig später macht das Ende des Kalten Krieges Bunker dieser Art überflüssig und der richtige Umgang mit dem sperrigen architektonischen Erbe fällt schwer. Wie bei manch anderem Luftschutzbau der Kriegszeit hätte die kontroverse Debatte um Abriss oder Instandhaltung zu einem langjährigen Stillstand führen können. Doch es kommt anders: Kurz nachdem das Gebäude 2010 als Zeugnis der NS-Zeit unter Denkmalschutz gestellt wird, erwirbt der Münchner Unternehmer Stefan F. Höglmaier (Euroboden GmbH) diese schwierige Immobilie in Nordschwabing.
2010 bis heute
Seitens des Verkäufers der Bundesimmobilien liegt zu diesem Zeitpunkt weder ein Nutzungskonzept noch eine Denkmalgenehmigung oder gar Baugenehmigung vor. Doch die Vision von Stefan Höglmaier, dieses für die Münchner Geschichte wichtige Denkmal in eine Zukunft zu führen und in ein Wohn-, Büro- und Ausstellungsgebäude zu transformieren, überzeugt alle Beteiligten. Höglmaier beauftragt das Starnberger Büro raumstation Architekten (Fränzi Essler, Tim Sittmann-Haury, Walter Waldrauch) mit dem spektakulären Umbau, der in den Jahren 2012/13 erfolgt. Wichtig ist ihm der verantwortungsvolle Umgang mit dem Gebäude, das – über seinen Charakter als Mahnmal an eine beklemmende Vergangenheit hinaus – in Zukunft kulturell verankert und eine Rolle als lebendiger Teil der Stadtgesellschaft spielen soll. Hierzu wird das Privatgrundstück nicht vom Stadtraum abgegrenzt, sondern durch eine entschiedene Gestaltung der Freianlagen im wahrsten Sinne des Wortes als Denkmal begreifbar.
Wo früher der Einlass nur über luftdicht verschlossene Schleusentore möglich war und Neonröhren an kahlen Betonwänden notdürftig das fehlende Tageslicht ersetzten, befinden sich heute die Ausstellungsräume des BNKR, darüber Wohnungen, Gewerbe und ein vollverglastes Penthousegeschoss. All das umfasst eine Fläche von ca. 1.000 Quadratmetern. Die Umbaumaßnahmen kommen mit lediglich einer präzisen Intervention aus: auf jedem Geschoss und in jede Himmelsrichtung werden raumhohe, etwa dreieinhalb Meter breite Öffnungen in die 2m dicken Außenwände geschnitten. Rund 2.000 Tonnen Stahlbeton werden für die großzügigen Fenster und andere Durchbrüche entfernt – eine gewaltige Kraftanstrengung, von der massive Quader zeugen, die vor dem Bunker frei angeordnet sind.
Der Grundsatz, Geschichte nicht zu leugnen, sondern sie sichtbar zu machen und zu thematisieren, durchzieht das gesamte Gestaltungskonzept. So ist die Fassade zwar gereinigt, die Einschusslöcher aus dem Krieg jedoch bleiben bestehen. Auch im Inneren stößt man auf Schritt und Tritt auf Spuren der Vergangenheit, sei es das komplett originale Treppenhaus oder andere bewusst erhaltene Details wie die sandgestrahlten, massiven Betondecken.
Die Ausstellungsräume des BNKR befinden sich im Erd- und Untergeschoss. Sie bilden Kabinette, in denen zeitgenössische Kunst konzentriert, ohne Ablenkung durch gestalterische Spielereien, präsentiert wird. Schräge Fensterlaibungen schaffen einen beinahe sakral wirkenden Raum dort, wo früher Dunkel herrschte – ein architektonischer Imperativ an die in diesen Räumen immer neu entwickelten, kuratorischen Konzepte: current reflections on art and architecture.
Quellen:
- Alfred Dürr, Baukulturführer 81. in: Hochbunker München, hrsg. von Nicolette Baumeister, 05/2014.
- Madeleine Freund, The Bunker at Ungererstraße 158 in historical context, in: The Architecture of Deception / Confinement / Transformation, hrsg. von Sam Bardaouil und Till Fellrath, Ausst.-Kat. München: BNKR - current reflections on art and architecture; Mailand: Silvana Editoriale, 2021, S.60–77.