Intervall: LABYR 1
Thomas Houseago (2006/2007): „Untitled (Three Elements)“, Tuf-Cal, Gips, Hanf, Eisen, Graphit, Holz, 188 x 142,2 x 60,3 cm. Fotografie: hiepler brunier.
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Thomas Houseago (2006/2007): „Untitled (Three Elements)“, Tuf-Cal, Gips, Hanf, Eisen, Graphit, Holz, 188 x 142,2 x 60,3 cm. Fotografie: hiepler brunier.

Labyr 1

28.06.2014

Gruppenausstellung mit Franz Ackermann, Kathryn Andrews, Cerith Wyn Evans, Manuel Graf, Erika Hock, Jenny Holzer, Thomas Houseago, Alexander Ernst Voigt

 

Zur inhaltlichen Orientierung – bei gleichzeitiger Öffnung – des Begriffs LABYR wurden für die erste Ausstellung LABYR 1 Künstlerinnen und Künstler ausgewählt, deren Potenzial zwischen alltäglichem Labyrinth und spezifischem Laboratorium oszilliert, deren Möglichkeits- und Denkräume entweder eine Komponente des Architektonischen / Urbanen umfassen oder aber ins Philosophische tendieren. Hierbei spielte die Betrachtung des einzelnen auszustellenden Werks eine ebenso tragende Rolle wie die Berücksichtigung der unterschiedlichen Gattungen, von Malerei über Zeichnung und Skulptur bis zu den neuen, zeitbasierten Medien; außerdem war die Kombination etablierter mit jungen, noch relativ unbekannten Künstlerinnen und Künstlern ein Faktor in der Zusammenstellung der Denkräume über die Bildräume im Bunkerraum.

Die Illusion oder die Imagination des Möglichen ist der allgegenwärtige Wunsch nach einer Utopie, nach einem anschaulichem Denken und der Erweiterung menschlicher Vorstellungskraft – eine reale Einbildung aus dem Kraftzentrum Kultur und dem kulturellem Gedächtnis. In unseren Köpfen, in unserer eigenen Welt, im zu gestaltenden Möglichkeitsraum Labyr! Ein Labyr ist kein Labyr! *

 

* Zum gesamten Komplex das gleichnamige und lesenswerte Buch: Wilfried Dörstel, EIN LABYR IST KEIN LABYR. CARLHEINZ CASPARIS MODELL ÄSTHETISCH-ETHISCHER SELBSTBILDUNG ZWISCHEN CAGE, CONSTANT UND DEN SITUATIONISTEN, Köln 2009.

KünstlerInnen
Franz Ackermann

Globale Räume sind magisches Beiwerk des Kosmopoliten, universelle Nicht-Orte in Zeit und Raum. Sie bestimmen unser Denken zwischen Heimatsuche, Handelsreise und Touristendasein – alles ist, oder besser war, mit allem verbunden. Territoriale Definitionen sind verwoben im Regionalen (Lokalen) und Allgemeinen (Globalen). Bei Franz Ackermann findet diese Ortssuche und Heimatlosigkeit eine Entsprechung in seinen auf Reisen entstehenden MENTAL MAPS, Bildern aus der weiten Welt, teils erkennbar und verortbar, teils visionär, traumhaft und utopisch. Diese Chiffren des typisch Atypischen sind angereichert mit den eigenen Erfahrungen, als subjektive Empfindung eines intermedialen Erlebens in den Mischungen der Reiseerlebnisse. Ackermanns vier ausgestellte MENTAL MAPS (1997–2003), kleine Aquarelle und Zeichnungen, sind Weltbeschreibungen und Kartografien ohne unmittelbaren Anspruch auf Lesbarkeit und Wiedererkennungswert, auch wenn wir bestimmte Topografien wie etwa das Holocaust-Mahnmal in Berlin identifizieren können. Sie wollen nicht dokumentieren, sondern vielmehr mittelbar und skizzenhaft gerade jenen kritisch zu schauenden Denkraum unseres Daseins als globale Touristen eröffnen.

Kathryn Andrews

In den Arbeiten von Kathryn Andrews geht es um die Ein- und Ausgrenzung bestimmter, meist pop-kultureller Mechanismen, die mit dem amerikanischen Traum vom Raum und der global postulierten Freiheit das 20. Jahrhundert mitdefiniert haben. In CLAIRE (2013) ist eine zertifizierte Filmrequisite aus THE MOD SQUAD (USA, Regie: Scott Silver) von 1999 eingefügt. Ein von der Schauspielerin Claire Danes getragener Ring sitzt auf einem perfekt aus poliertem Aluminium gefertigten Kegel, der spitz aus der Wand in den Raum zeigt. Der Kegel wirkt wie ein ausgestreckter Finger mit aufgestecktem Ring bei einem Heiratsantrag, zugleich ist die Skulptur jedoch auch ein kaltes, bedrohliches Objekt, dessen Präsenz den warmen Emotionen der Liebe widerspricht. Die harte Geometrie der Skulptur und der Ring als Symbol, unterstützt durch den größeren Ring an der Basis des Kegels, nähren vielfältige Assoziationen. Zusätzlich lassen der Filmtitel und der Name der Schauspielerin Fragen auftreten, welches „Bild“ in unserem Kopf nun eigentlich die Arbeit definiert: die starke Form als Wandobjekt, der Ring und seine Symbolik oder die Assoziationen zu Hollywood, der die Welt mit Illusionen versorgenden ameri- kanischen Traumfabrik? Eine Entscheidung lässt sich schwer treffen, aber es ist gerade dieses Miteinander, das die Faszination dieser Arbeit ausmacht.

Cerith Wyn Evans

Jenny Holzer und Cerith Wyn Evans arbeiten beide mit Licht und Text als Träger von Informationen. In ihren Werken geht es um grundlegende Fragen und Problemstellungen der Kommunikation und der Erkenntnisfähigkeit des Menschen – meist abgeleitet aus dem Stadtraum oder dem Lebensraum des modernen Individuums als Teil der Gesellschaft, der Masse. In den Neon- und Reklameleuchten steckt die wahre Botschaft nicht sichtbar hinter der immateriellen Ausstrahlung des Lichts – das Medium ist die (bisweilen unbequeme) Botschaft. Jenny Holzers LED-Schriften, seit 1979 bekannt als TRUISMS, senden unentwegt Texte, Statements und Aphorismen aus, in deren fortwährendem Widerschein die moderne, kapitalistische Gesellschaft sich selbst entlarvt als leere Identität; und uns, die als konsumierende Adressaten diese Nicht-Identität begierig als Wahrheit anerkennen (müssen). In ... VISIBLEINVISIBLE (2007) von Cerith Wyn Evans kommt das grundlegende Prinzip von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zum Vorschein, denn was wir sehen, ist nicht das, was es ist. Wie schon Giovanni Anselmo mit seiner Diaprojektion INVISIBILE (1971), in der er das Immaterielle materiell erfahrbar machte und durch das Sichtbare das Unsichtbare zeigte, geht auch Evans diesen poetischen, philosophischen Weg aller Erkenntnis mittels des Lichts, der schon von Platons Höhle bis zur Aufklärung (dem Lichten der Dinge) führte.

Manuel Graf

LET MUSIC PLAY? – Musik spielen lassen? In der einfachen Frage, die Manuel Graf in den Kellerräumen des Hochbunkers stellt, stecken grundsätzlichen Fragen zu Raumkategorien in Architekturen. Im Stil dokumentarischer Lehrfilme werden im ersten Teil seiner Arbeit die unterschiedlichen Raumdynamiken eines Längsbaus, eines Zentralbaus, einer weiten Säulenhalle und einer persischen Vier-Iwan-Moschee erklärt. Im zweiten Teil gibt der Film die Inhalte der typologischen Baugeschichten videoclipartig mit Musik wieder und interpretiert sie als musikalische Klangstruktur analog zur Architekturstruktur. Die scheinbar objektivierende, wissenschaftlich motivierte Präsentation im Lehr lmstil und die eher subjektive, musikalisch aufgeladene Übermalung verlangen nach einer Stellungnahme, einer Reflexion der komplexen Thematik, die im vor der Projektion befindlichen Wasserbecken bereits eine leere Mitte und offene Spiegelfäche einnimmt – wie in der Platzanlage der Vier-Iwan-Moschee. Weitere Arbeiten Grafs erweitern den Bezugrahmen in die Malerei und in die Videoskulptur, bei der Anamorphosen zwischen konkretem statischen Stuhlmöbel, oder wie hier Lampenständer und Orienteppich, und animiertem Bildraum erprobt werden. In den Gemälden auf grobem Hessian stellt sich der Künstler der imaginären Auseinandersetzung mit einer Dialogpartnerin – der fiktiven Madam Dodge –, die eine von osmanischer Architektur, Ornament und Abstraktion inspirierte Bildsprache formuliert, in der Kultur als Form, als zweidimensionale Flächengestaltung und somit wiederum als diffuser Möglichkeitsraum im positiven, verzweigten System des interkulturellen Denkens erscheint.

Erika Hock

Ausgehend von einem Pavillon als Verkörperung skulpturaler Architektur hat Erika Hock einen für den Außenraum bestimmten temporären Projektionsraum entwickelt, dessen Modell aus poliertem Aluminium, MODEL FOR A CINEMA PAVILION (2012), hier ausgestellt ist. Erstmals realisiert in dem zum Düsseldorfer Künstlerverein Malkasten gehörenden Jacobigarten, stellt sich die Arbeit zunächst als eine begehbare (und besitzbare) autonome Skulptur dar. Eingefügt in die Umgebung der im Stil englischer Naturromantik gestalteten Anlage, knüpfte sie an die Tradition von Pavillonbauten als Erweiterung der Gartenarchitektur an. Sie verstand sich darüber hinaus als experimenteller und mobiler Ort für Begegnung, Projektion und Reflexion. Die Konstruktion des Pavillons/Modells lässt sich auf die mehrfache Faltung einer ebenen Fläche zurückführen. So entsteht praktisch aus einem gefalteten Blatt eine überdachte Architektur, die zugleich eine Form, einen offenen Raum bildet. Projektionsfläche, Zuschauerraum und Überdachung sind unmittelbar miteinander verbunden und ergeben sich aus einer Linie – die Form folgt der Funktion. Hocks zweite Arbeit, FOR CHARLOTTE P. (2012), ist der französischen Architektin, Designerin und Fotografin Charlotte Perriand gewidmet und basiert auf einer Fotografie Perriands, die während ihrer Zusammenarbeit mit Le Corbusier entstanden ist. Die Arbeit ist eine stille Hommage an eines von Perriands so genannten “objets à réaction poétique”, in der Natur gefundene Objekte, die sie inspirierten und die sie teilweise wie wertvolle Objekte in besonderen Lichtsituation inszenierte, um sie zu fotografieren. Hock überführt hier die Fotografie wiederum in ein Objekt, indem sie ein Geflecht aus vorfabrizierten Holzringen und Lederschlaufen knüpft und das Netz mithilfe eines Schattenspiels an der Wand inszeniert.

Jenny Holzer

Jenny Holzer und Cerith Wyn Evans arbeiten beide mit Licht und Text als Träger von Informationen. In ihren Werken geht es um grundlegende Fragen und Problemstellungen der Kommunikation und der Erkenntnisfähigkeit des Menschen – meist abgeleitet aus dem Stadtraum oder dem Lebensraum des modernen Individuums als Teil der Gesellschaft, der Masse. In den Neon- und Reklameleuchten steckt die wahre Botschaft nicht sichtbar hinter der immateriellen Ausstrahlung des Lichts – das Medium ist die (bisweilen unbequeme) Botschaft. Jenny Holzers LED-Schriften, seit 1979 bekannt als TRUISMS, senden unentwegt Texte, Statements und Aphorismen aus, in deren fortwährendem Widerschein die moderne, kapitalistische Gesellschaft sich selbst entlarvt als leere Identität; und uns, die als konsumierende Adressaten diese Nicht-Identität begierig als Wahrheit anerkennen (müssen). In ... VISIBLEINVISIBLE (2007) von Cerith Wyn Evans kommt das grundlegende Prinzip von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zum Vorschein, denn was wir sehen, ist nicht das, was es ist. Wie schon Giovanni Anselmo mit seiner Diaprojektion INVISIBILE (1971), in der er das Immaterielle materiell erfahrbar machte und durch das Sichtbare das Unsichtbare zeigte, geht auch Evans diesen poetischen, philosophischen Weg aller Erkenntnis mittels des Lichts, der schon von Platons Höhle bis zur Aufklärung (dem Lichten der Dinge) führte.

Thomas Houseago

Komplementär hierzu ist das Werk von Thomas Houseago, UNTITLED (THREE ELEMENTS) (2006–2007) zu sehen. Er demonstriert eine neue Auseinandersetzung mit skulpturaler Figuration in der Tradition des fast in Vergessenheit geratenen Klassikers Henry Moore. Es zeigt eine unerwartet sinnliche und plastische Dimension, eine beinahe archaische Materialität, die Wirkungsmomente von vergangenen und scheinbar unmöglich gewordenen skulpturalen Formen in sich trägt: Standbild, Statue und Torso, antike und moderne Sinnbilder für Mensch, Gott, Kreatur. Houseago stellt die Frage nach einem Menschenbild und einem Körperraum, deren Ernsthaftigkeit und Massivität das Drängen nach dem modernen Menschenbild in den 1950er Jahren in Erinnerung ruft – in der Tradition anthropomorpher Abstraktionen zum Beispiel von Jacob Epstein oder eben Henry Moore. Bei Houseagos Skulptur entsteht allerdings keine heroische oder vergeistigte kreatürliche Form, wie sie die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg prägte, sondern eine Wandlung ins Fiktionale und bühnenhaft Dramatische. Houseagos Skulpturen sind aktuell, denn sie sind auch Fantasy und Trash und operieren mit mythischen Bildern. Bei aller Deutlichkeit des Handwerks oder schizophren-surrealer Machart könnten sie auch aus der digitalen Plastikwelt stammen und sind tatsächlich von ihr inspiriert.

Alexander Ernst Voigt

Die Oberflächen der Leinwände von Alexander Ernst Voigt sind aus verschiedenartig behandelten Segmenten zusammensetzt. Über einer Fläche aus Abstraktionen erscheinen mimetische Muster, die an Landschaft, an Flora und Fauna erinnern. Die Gemälde zeigen einen anti-urbanistischen, verloren geglaubten oder wieder zu entdeckenden Naturraum, dessen utopisches Moment allein im Medium der Malerei existiert. Gleichwohl stellt sich ein Blick auf die Realität unter Betonung der Flächigkeit ein, auch als Blick ohne Perspektive in einen realen Raum, mitunter wie aus einem Fenster konditioniert. Voigts Konstruktionen zeigen die Interaktion zwischen Wirklichkeit und Bild, Fenster und Spiegel, Bunker in der Stadt und Landschaft auf Leinwand. Die für das Treppenhaus in situ gefertigte Wandarbeit eröffnet einen Moment der Vorstellungskraft, in dem aus und auf dem Beton des Bunkers heraus Bilder der Natur aufscheinen und die Macht der abstrakten Illusion im ungemein konkreten (concrete = Beton) Gebäude Wirkung entfaltet.

KuratorInnen
Gregor Jansen

Gregor Jansen wurde im November 2009 durch den Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung der Kunsthalle gGmbH zum künstlerischen Leiter der Kunsthalle Düsseldorf berufen und hat seine Tätigkeit im Januar 2010 aufgenommen. Er studierte Kunstgeschichte, Baugeschichte und Philosophie an der RWTH Aachen und promovierte 1998 zum Thema „Eugen Schönebeck. Eine deutsche Legende“. Seit 1991 arbeitete er als Projektmanager, Kurator, Kunstkritiker, Autor und unterrichtete in den Fachbereichen Bildwissenschaft und Medientheorie an mehreren Hochschulen in Deutschland und den Niederlanden. Von 2005 bis Ende 2009 leitete Gregor Jansen das ZKM | Museum für Neue Kunst Karlsruhe. Gregor Jansen ist Kurator zahlreicher nationaler und internationaler Ausstellungen, wie zuletzt in Brasilien, Leipzig, Shanghai oder Südkorea. Er ist zudem Autor zahlreicher Vorträge und Essays zur zeitgenössischen Kunst sowie von Künstlermonographien, Interviews und Ausstellungskatalogen, wie zuletzt für das Kunsthaus NRW, Markus Oehlen, Ina Gerken und Jutta Haeckel. Als Direktor der Kunsthalle Düsseldorf sieht er diese als einen offenen Ort, der mit Ausstellungen, diskursiven und performativen Programmen sowie zukunftsweisenden Formaten relevante, vor allem ästhetische und gesellschaftspolitische Fragestellungen zwischen den Ebenen der Produktion und der der Museen aufgreift.