Intervall: THE ARCHITECTURE OF

THE ARCHITECTURE OF TRANSFORMATION

02.12.2021

Mit Dana Awartani, Olivier Goethals, Eva Nielsen, Jeremy Shaw, Hannah Weinberger und Andrea Zittel.

 

Die Ausstellungstrilogie THE ARCHITECTURE OF, kuratiert von Sam Bardaouil und Till Fellrath, präsentiert unterschiedliche künstlerische Positionen an der Schnittstelle von Kunst und Architektur. Jeder der drei Teile knüpft direkt an die gewachsene Geschichte des Gebäudes an, das im Zweiten Weltkrieg ursprünglich als getarnter Luftschutzbunker errichtet, dann als Internierungslager der Nachkriegszeit genutzt und schließlich 2014 in ein Wohn- und Bürogebäude umgebaut wurde. Dieser dritte und letzte Teil der Trilogie mit dem Titel "The Architecture of Transformation" lässt sich von diesem Umbau des Gebäudes inspirieren und betrachtet die architektonische Transformation im Kontext breiterer gesellschaftlicher Diskurse.

 

Eine ortsspezifische Intervention des belgischen Architekten und Künstlers Olivier Goethals modifiziert architektonische Merkmale in den Ausstellungsräumen, um neue Perspektiven zu ermöglichen und das vermeintlich Bekannte zu hinterfragen. Die amerikanische Bildhauerin und Installationskünstlerin Andrea Zittel ist mit einer Reihe von Papierarbeiten unterschiedlich bewohnbarer Skulpturen vertreten, die die Grenzen zwischen Kunst und Funktionalität verwischen. Die französisch-dänische Künstlerin Eva Nielsen kombiniert Fotografie, Siebdruck und Malerei und dekontextualisiert vertraute Vorstadtarchitekturen. Der kanadische Künstler Jeremy Shaw untersucht in seinen fotografischen Arbeiten veränderte Bewusstseinszustände und die menschliche Sehnsucht nach Transzendenz. Die palästinensisch-saudische Künstlerin Dana Awartani thematisiert in ihrer Videoinstallation den rasanten gesellschaftlichen Wandel in Saudi-Arabien und die daraus resultierenden Spannungen zwischen Tradition und Moderne. Eine für die Ausstellung in Auftrag gegebene Klanginstallation der Schweizer Künstlerin Hannah Weinberger schafft eine klangliche Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart des Gebäudes und seinen Ausstellungsräumen.

 

Eine zentral in der Ausstellung platzierte Archivwand bietet historisches Dokumentationsmaterial, welches im Dialog mit den ausgestellten Kunstwerken den Bunker als dynamisches, architektonisches Bauwerk im zeitlichen Wandel aktiviert. Sie lädt die Besucher ein, über die Bedeutung der Architektur als Trägerin und Begleiterin der Geschichte nachzudenken, die uns unsere Schwächen, Stärken, Dummheiten und Erfolge alle ungeschönt und ungefiltert, immer wieder vor Augen führt.

KünstlerInnen
Dana Awartani

(*1987 in Jeddah, lebt und arbeitet in Jeddah, Saudi-Arabien)

Dana Awartani's künstlerische Praxis wurzelt in ihren Fähigkeiten im traditionellen islamischen Kunsthandwerk und in der Kalligraphie sowie in ihrem Bemühen um die Erhaltung kulturellen Erbes. Die Videoinstallation I Went Away And Forgot You zeigt die Künstlerin beim Wegfegen eines kunstvoll komponierten, geometrischen Bodendesigns aus Sand, das an traditionelle Fliesenarbeiten der islamischen Architektur in der arabischen Welt erinnert. Awartani schuf das Muster mit Sand aus der Region, den sie zuvor mit natürlichen Pigmenten aus Mineralien und Pflanzen gefärbt hatte. Mit diesem Akt der Zerstörung thematisiert Awartani die rasante Modernisierung ihrer Heimatstadt Jeddah, die das Überleben traditioneller Kunsthandwerke und architektonischer Schätze bedroht. Die Zyklen von Schöpfung und Zerstörung des Films laden den Betrachter ein, über menschliche Hybris, die Bedeutung von Verlust und die Vergänglichkeit des Daseins nachzudenken.

Olivier Goethals

(*1980 in Torhout, lebt und arbeitet in Gent, Belgien)

Die Installation Be Ware von Olivier Goethals steht beispielhaft für seine vielfältige Praxis, die Skulptur und Architektur zu einem einzigartigen künstlerischen Amalgam verbindet. Als Verweis auf Elemente der äußeren Umgebung des Gebäudes werden Goethals’ Strukturen vollständig aus Materialien erstellt, die nach Ende der Ausstellung einer Wiederverwendung zugeführt werden. Beim Betreten des Ausstellungsraums werden die Besucher eingeladen, einen erhöhten Steg zu betreten, der eine unerwartete Perspektive bietet, um die Architektur des Gebäudes zu erfahren. Die Installation beeinflusst direkt den natürlichen Bewegungsfluss im Raum und die Art und Weise, wie sich Besucher mit den ausgestellten Kunstwerken auseinandersetzen. Ganz unmittelbar verändert sich durch die Installation die Atmosphäre, welche die Räumlichkeiten, die Kunstwerke und besonders die Besucher selbst in ein unkonventionelles Raumerlebnis einbezieht.

Eva Nielsen

(*1983 in Les Lilas, lebt und arbeitet in Paris, Frankreich)

In ihrer künstlerischen Praxis hinterfragt Eva Nielsen die alltägliche Rolle der Architektur und ihre Fähigkeit, neue Perspektiven der Realität zu schaffen. Die in dieser Ausstellung gezeigten Werke stellen Landschaften, die von Gemälden alter Meister inspiriert sind, mit architektonischen Strukturen, die mit zeitgenössischer Vorstadt verbunden sind, gegenüber. Die Künstlerin verwischt die Grenzen zwischen den Medien und verwendet eine Mischung aus Malerei und Siebdruck, um collageartige Werke aus überlappenden Bildern zu schaffen. Nielsen extrahiert die utopischen und zeitlosen Landschaften aus einer Mischung aus persönlichen Erinnerungen, Fotografien und imaginierten Idyllen. In ihren kompositorischen Widersprüchen erzeugen die Werke eine beunruhigende Verfremdung. In den engen Ausstellungsräumen des BNKR kommentieren Nielsens großformatige Gemälde, die in unkonventioneller Art und Weise installiert wurden, die Architektur, welche sie umgeben.

Jeremy Shaw

(*1977 in North Vancouver, lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland)

In einer Vielzahl unterschiedlicher Medien untersucht Jeremy Shaw veränderte Bewusstseinszustände und die kulturellen und wissenschaftlichen Muster, um transzendentale Erfahrungen abzubilden. Durch die Kombination von Methoden aus dem Genre des Vérité-Films, der Konzeptkunst, der Musikvideoproduktion, der Esoterik und der wissenschaftlichen Forschung schaffen Shaws Arbeiten eine postdokumentarische Sprache, in der unterschiedliche Glaubenssysteme und Geschichten in einen interpretativen Schwebezustand geraten. Im Rahmen dieser Ausstellung ist eine Auswahl aus Shaw’s Werkreihe Towards Universal Pattern Recognition zu sehen, die aus neu gerahmten Archivfotos besteht. Diese Fotografien zeigen Subjekte, die eine spirituelle, hedonistische oder technologische Katharsis erleben und sind unter präzise facettierten, prismatischen Linsen hinterlegt, die vom Künstler entworfen wurden, um mehrfach gebrochene Bilder um bestimmte Elemente herum zu erzeugen. Diese Interventionen verstärken das Empfinden der Betrachter für die Euphorie der fotografischen Sujets und binden diesen in eine voyeuristische Auseinandersetzung mit der Ekstase anderer und der eigenen objektivierenden Sehlust ein.

Hannah Weinberger

(*1988 in Filderstadt, lebt und arbeitet in Basel, Schweiz)

Hannah Weinberger schafft ortsspezifische Klanginterventionen, die sich mit der sie umgebenden Architektur auseinandersetzen. Für die Ausstellung im BNKR schöpft Weinberger aus der Geschichte des Gebäudes als Luftschutzbunker im Zweiten Weltkrieg. Die gedämpften Detonationsgeräusche – scheinbar von außen – durchdringen in zufälligen Abständen die Ausstellungsräume. Die Einbrüche erschüttern die Stille der Ausstellung und lösen ein reflexives Überdenken der wahrgenommenen Realitäten aus. Für diesen ehemaligen Bunker scheint die Möglichkeit eines Konflikts sowohl geografisch als auch historisch in weite Ferne zu rücken, doch unser Leben in Frieden und Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Weinberger ermutigt das Publikum, darüber nachzudenken, ob die fortwährenden Bedrohungen unserer friedlichen Gesellschaft von außen oder von innen kommen.

Andrea Zittel

(*1965 in Escondido, lebt und arbeitet in Joshua Tree, CA, USA)

Andrea Zittel erforscht in ihrer künstlerischen Praxis die Möglichkeit Grenzen zwischen Kunst und Funktionalität zu destabilisieren und hinterfragt die Bedeutung, die wir den Objekten, mit denen wir uns umgeben, beimessen. Ihre Arbeiten weisen eine inhärente und bewusste Mehrdeutigkeit ihres Zwecks auf: Sind sie kostbare Objekte oder einfach Gebrauchsgegenstände? Zwei Serien von Papierarbeiten, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, machen dem Betrachter die Ebenen und Schichten bestehender Wahrnehmungsfelder bewusst. Skizzen aus der Serie Planar Construction zeigen skulpturale Skizzen, die als Pläne für funktionale Wohnwelten, und zugleich als Räume von psychischer Trennung, von Privatsphäre und von Rückzug erscheinen. Die Serie Panels and Portals zeigt verwinkelte Innenräume mit ausgeschnittenen, rechteckigen Öffnungen – Portale, die einen Blick in Landschaften ohne fest gelegte Ebenen und Kanten ermöglichen. Die unterschiedlichen Raster dieser Arbeiten fordern den Betrachter auf, sich des menschlichen Strebens nach Organisation und Perfektion bewusst zu werden.

KuratorInnen
Sam Bardaouil / Till Fellrath

Sam Bardaouil und Till Fellrath sind Gründer und Direktoren der multidisziplinären, kuratorischen Plattform artReoriented, die 2009 in New York und München ins Leben gerufen wurde. Sie sind Kuratoren der Lyon Biennale 2022, des französischen Pavillons auf der Biennale in Venedig 2022, und Affiliate-Kuratoren am Gropius Bau in Berlin. Ab 1. Januar 2022 übernehmen sie als Direktoren die Leitung des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart in Berlin. Bardaouil und Fellrath haben als künstlerisches Duo mit mehr als 70 Institutionen weltweit zusammengearbeitet und Ausstellungen kuratiert, darunter Centre Pompidou in Paris, Villa Empain in Brüssel, Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, Tate Liverpool, ARTER in Istanbul, Gwangju und Busan Museum of Art in Südkorea, Saradar-Sammlung in Beirut, Mathaf: Arabisches Museum für moderne Kunst in Doha, SCAD-Kunstmuseum in Savannah, Moderna Museet in Stockholm und Reina Sofia in Madrid. 2016 waren sie kuratorische Attachés für die Biennale von Sydney. Auf der Biennale in Venedig waren sie Kuratoren der Nationalen Pavillons des Libanon in 2013 und der Vereinigten Arabischen Emirate in 2019. Von 2016 bis 2020 waren sie Chairmen der Montblanc Kulturstiftung in Hamburg. Bardaouil und Fellrath gründeten artReoriented, um traditionelle Modelle des kulturellen Engagements zu überdenken. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen die Inklusivität künstlerischer und institutioneller Praktiken sowie ein revisionistischer Ansatz zur Kunstgeschichte. Sie sind international anerkannte Kuratoren und preisgekrönte Autoren, deren Praxis sowohl in der zeitgenössischen globalen Kunst als auch im Bereich der klassichen Moderne verwurzelt ist. Sie hatten Lehraufträge an verschiedenen Universitäten inne, darunter an der Tisch School of the Arts der New York University, der Shanghai Academy of Fine Arts und der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Ihre unterschiedlichen, kulturellen und akademischen Hintergründe bereichern ihr inhärent kollaboratives Modell. Bardaouil, geboren im Libanon, ist promovierter Kunsthistoriker und studierter Theaterwissenschaftler. Fellrath, geboren in Deutschland,  ist studierter Wirtschafts- und Politikwissenschaftler und derzeit Professor für Designbezogene Wissenschaften an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg.